Die jüdischen Vorfahren der Geschwister Friedländer

Im Oktober 2020 weihten wir 3 neue Buhnenstelen in Born ein, so an der Fischerkirche und am ehemaligen Gehöft des Malers Max Lingner. Die dritte Buhne widmet sich den Schwestern Jeanne von Wenden (geb. Friedländer) und Marguerite Friedländer. In unseren weiteren Nachforschungen zur Familiengeschichte der Geschwister konnten wir nun noch weitere Erkenntnisse sammeln. 

Bei dem Nachnamen Friedländer haben wir uns gefragt, ob er auf jüdische Vorfahren der Schwestern hindeuten könnte, konnten aber bisher keine Belege dafür finden. Eine Recherche in den genealogischen Datenbanken lässt uns aber zu neuen Schlussfolgerungen kommen. 
 
Der Vater der Schwestern, Conrad Friedländer, geboren 1853, ist unmittelbar nach der Geburt getauft worden, so dass man daraus schließen kann, dass bereits Jeannes und Marguerites Großeltern väterlicherseits christlicher Konfession sind. In der Heiratsurkunde von Conrad und seiner Schweizer Ehefrau Bertha, geb. Aschlimann, weisen sich beide als evangelisch aus.
 
Die Eltern Conrads – Hermann Friedländer und Friederike, geb. Berend – weisen aber bei ihren Vorfahren durchaus einen jüdischen Hintergrund auf. Daraus folgte unsere Annahme, dass die Eltern von Conrad Friedländer vom jüdischen zum christlichen Glauben konvertiert sind. Tatsächlich findet sich bei der Mutter von Conrad Friedländer (also der Großmutter von Jeanne und Marguerite) ein Eintrag, der besagt, dass sie sich wenige Tage vor der Heirat mit Hermann im Mai 1847 hat taufen lassen. Die Grabstätten der Großeltern befinden sich zudem auf dem evangelischen Friedhof der Neuen Kirche in Berlin-Kreuzberg.
Conrads Großeltern väterlicherseits dagegen haben ihre letzte Ruhestätte auf dem jüdischen Friedhof Schönhauser Allee in Berlin. Über Conrads Großeltern mütterlicherseits haben wir in Erfahrung bringen können, dass bei ihrer Trauung der Rabbi anwesend war. Außerdem findet sich die Sterbeurkunde der Großmutter, aus der hervorgeht, dass sie der "mosaischen Religion" zugehörig war.

Eine interessante Nebeninformation der Sterbeurkunde ist die Wohnadresse von Conrads Großmutter: Pariser Platz 7 ist wohl eine der nobelsten Adressen Berlins. Es ist das Haus von Louis Liebermann und später von seinem Sohn, dem Maler Max Liebermann. 

Diese Informationen bestätigen nun unsere Annahme, dass die Großeltern von Jeanne und Marguerite jüdischen Elternhäusern entsprungen und im Laufe ihres Lebens zur christlich-evangelischen Religion übergetreten sind.

Jeanne (geb. 1895) und Marguerite (geb. 1896) hatten noch einen jüngeren Bruder Walter (geb. 1898), der das geerbte Rittergut Marienhof im Kreis Arnswalde fortführte. Bei seinem Datenbank-Eintrag findet sich ein Hinweis auf die Volkszählung von 1939. Volkszählungen waren seinerzeit nicht ungewöhnlich, doch weist die Volkszählung von 1939 eine Besonderheit auf: Den Unterlagen wurde eine so genannte Ergänzungskarte beigefügt, deren Zweck darin bestand, die "Rasse" der Vorfahren bis hin zu den Großeltern darzulegen. Um den Anschein der Verschwiegenheit zu geben, sollte die ausgefüllte Karte in einen gesonderten Umschlag beigelegt werden. Die Unterlagen waren mit einem Warnhinweis versehen, der Geld- und Haftstrafen bei unwahren Angaben androhte. Diese Volkszählung war die erste nach Einführung der "Nürnberger Rassegesetze" von 1935. Die "Nürnberger Gesetze" bestimmten u. a., dass vom jüdischen zum christlichen Glauben Konvertierte – nach dem perfiden Verständnis der Nazis – weiterhin Juden waren. Dies führte dazu, dass die konvertierten Großeltern von Jeanne, Marguerite und Walter, bei den Nazis als Juden galten, der Vater Conrad ebenso und sie selbst zu "Mischlingen ersten Grades" wurden. 

 

Diese Ergänzungskarten sind zu einem sehr großen Teil erhalten geblieben. Sie befanden sich zunächst im Staatsarchiv der DDR und wurden um die Jahrtausendwende im Bundesarchiv digitalisiert. Basierend auf diesen Daten hat der Verein "Tracing the Past" die Webseite mappingthelives.org veröffentlicht, in der sich die Personen mit jüdischem Hintergrund (nach NS-Verständnis) verorten lassen.

In der Suche nach Walter Friedländer finden sich die Angaben, die er damals in der Ergänzungskarte angab. Hier deklarierte er einen Großelternteil als jüdisch und galt damit bei den Nazis als "Mischling". 

Auch Marguerite füllte ihre Ergänzungskarte entsprechend aus. Sie lebte damals noch in Ostpreußen, bevor sie während des Krieges nach Born zu Jeanne zog. Von Jeanne findet sich allerdings kein Eintrag. Die Vollständigkeit auf mappingthelives.org vorausgesetzt, ergibt sich die offene Frage, warum sich kein Eintrag finden lässt. 

In den Erinnerungen alter Borner gibt es keinen Hinweis auf ein jüdisches Selbstverständnis der Schwestern. Vielleicht hat Jeanne die Vorgaben der "Rassegesetze" ignoriert, doch ihr Bruder Walter und ihre Schwester Marguerite taten es nicht. Beim Ausfüllen der Ergänzungskarte müsste ihnen gewahr geworden sein, wenn nicht eh schon früher, dass das NS-Regime sie irgendwann ins Visier nehmen würde. Auch wenn deutsche Mischlinge zunächst nicht von Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren, war ihr Status doch von Unsicherheit gekennzeichnet. NS-Rasseideologen sprachen sich vermehrt dafür aus, die Verfolgung auch auf "Mischlinge" auszuweiten. 

Die Tochter ihrer Tante, Cousine Margarete Fleck, konnte der Vernichtung nicht entkommen. Sie wurde als Jüdin am 15. August 1942 von einem Berliner Güterbahnhof deportiert und 3 Tage später bei Riga ermordet. Es ist zu vermuten, dass Jeanne und Marguerite zumindest von der Deportation erfahren haben. 

 

Mappingthelives.org zeigt übrigens auch weitere Einträge auf unserer Halbinsel, die auf den Ergänzungskarten der Volkszählung von 1939 beruhen.

 

Quellen:

MyHeritage.com, A. Stridde

Repertorium Alborum Amicorum

Landesarchiv Berlin

Archiv Choszczno, Dr. Grzegorz J. Brzustowic

mappingthelives.org

DarßArchiv

Recherche und Text: Joris und Katharina Mau, Februar 2021

Ergänzungskarte zur Volkszählung 1939
Quelle: Bundesarchiv.de

Stammbaum der Geschwister Friedländer

Jeanne von Wenden, geb. Friedländer (links) und Marguerite Friedländer (rechts)
Quelle: Darß-Archiv

Wohnhaus und Pension "Haus Wenden" in Born a. Darß in den 1930er Jahren. Das Haus wurde 1975 abgerissen.
Quelle: Darß-Archiv