Emmi Barwinski

 

Emmi Barwinski ist keine Malerin, keine Gutsbesitzerin. Sie ist eine einfache Borner Frau, die selbstbewusst ihren Weg geht. Der äußere Anlass, dem Leben von Emmi Barwinski (1908-1998) nachzuspüren, ist eine Anfrage der US-Amerikanerin Erin Burns. Sie kommt im Juli 2022 bereits zum zweiten Mal nach Born. Das Dorf gefällt ihr sehr, aber in erster Linie möchte sie mehr über das Leben ihrer Großmutter Emmi Barwinski erfahren. Sie weiß, dass die ihre Jugend hier verbracht hat. Am meisten liegt ihr an der Beantwortung der Frage, warum Emmis frischgebackener Ehemann Fritz Niemann nicht mit nach Detroit kommt, sondern sie allein in die USA fahren lässt. Als ihre Großmutter stirbt, ist Erin Burns noch zu jung, um sich für Familiengeschichten zu interessieren.

Mithilfe der Unterlagen des Darß-Archivs und weiterer Recherchen können wir einiges über Emmi und ihre Familie in Erfahrung bringen.

Der Vater Alexius Barwinski (1885-1942) stammt aus Stettin, die Mutter Emma (1882-1955), geb. Stubbe, aus Born. Die Familie lebt bis 1912 in Stettin. Dort sind die vier ältesten Kinder Otto (1903-1978), Emmi, Gertrud (1910-1990) und Kurt (1912-1983) geboren. Dann ziehen die Barwinskis in das südlich von Stettin gelegene Sydowsaue (Zydowce-Klucz gehört heute zu Stettin), wo Irma (1914-1990) und Heinz (1915-1992) geboren werden.
1916 siedelt die Familie nach Born über, wo Emmis Großmutter Wilhelmine Stubbe [1] im gleichen Jahr stirbt. 1920 kommt der jüngste Sohn Karl (1920-1994) in Born zur Welt. Sie wohnen in der Straße Auf dem Branden in einem Häuschen mit großem Garten.[2] Heute erinnert nichts mehr daran, denn es wird 2018 für zwei große Neubauten abgerissen. 

Das im Darß-Archiv bewahrte Borner Schülerverzeichnis listet alle sieben Kinder mit Einschulungsdatum und Namen und Beruf des Vaters (Kellner) auf. Emmi wird – wie ihre Geschwister Otto und Gertrud – am 16. April 1916 in Born eingeschult. Am 24. März 1923 verlässt sie die Schule. Den Eintragungen zufolge ist sie eine gute Schülerin: Schulbesuch regelmäßig. Betragen: sehr gut. Fleiß: gut bis sehr gut. Religion, Deutsch, Raumlehre: gut. Rechnen: gut bis sehr gut. Schreiben: sehr gut. Zeichnen, Singen, Handarbeit: im Ganzen gut. 


Doch die Familie sieht in Vorpommern keine Zukunft für sich. Erst einmal bricht der Vater allein mit seinem ältesten Sohn Otto nach Amerika auf. Beide verlassen Deutschland, wie den Hamburger Passagierlisten zu entnehmen ist,[3] im Januar 1923, um dort für die Familie ein neues Leben aufzubauen. Die Überfahrt endet nach neun Tagen in New York. Das Ziel ist Detroit, wo Alexius‘ Bruder Karl lebt. 

Vater und Sohn kehren Ende 1925 zum Familienbesuch zurück, um im Januar 1926 wieder nach Amerika zu fahren. Im Februar 1931 holt der Vater die Kinder Gertrud und Kurt zu sich. In den Passagierlisten ist er noch unter seinem Namen Alexius Barwinski aufgeführt. Später nennt sich die Familie dann „Barwin“. 18 Monate später wandert die Mutter mit den vier anderen Kindern Emmi, Irma, Heinz und Karl aus. Emmi, inzwischen 24 Jahre alt, reist vielleicht erst deshalb so spät, weil sie im Haushalt gebraucht wird. Bei Emmis jüngstem Bruder Karl, der am 22.04.1927 eingeschult wird, heißt es am 18.09.1932: „Abgemeldet nach Amerika“. 

Drei Jahre später, wohl im Mai 1935, kehrt Emmi zurück nach Deutschland. Sie möchte ihre Jugendliebe Fritz Niemann (1908-1985) heiraten. Die Hochzeit findet am 19. Juni 1935 in der neu erbauten Borner Fischerkirche statt. In den folgenden 12 Monaten zerschlägt sich ihre Hoffnung, mit Fritz zusammen in Amerika zu leben. Die dreijährige Trennung hat unterschiedliche Lebensvorstellungen deutlich werden lassen und ihre Liebe auf eine zu harte Probe gestellt. Fritz kann sich nicht entschließen, die von den Eltern übernommene Schlächterei in der Südstraße in Born aufzugeben. Emmi hat sich in Amerika gut eingelebt und genießt ihr relativ unabhängiges Leben als Hausmädchen, so dass ein Bleiben mit einem Leben in vorgezeichneten Bahnen für sie nicht infrage kommt. Ohne Ehemann fährt sie vom 29. Mai bis 4. Juni 1936 als Emmi Niemann, geb. Barwinski, von Bremen aus nach New York und von dort nach Detroit weiter. In das Borner Häuschen der Barwinskis zieht Fritz‘ Bruder Walter mit seiner Familie.


Im Darß-Archiv sind vier Briefe von Emmi an ihre Borner Freundin Käthe Segebarth (1908-2005) sowie Fotos erhalten. In dem ersten, den sie im August 1936 an Käthe schreibt, ist zu lesen: „Du hast wohl gemerkt, wie gern ich wieder zurückwollte. Nun ist es schneller gegangen, wie ich selber gedacht habe. Ich bin sehr froh, daß ich wieder hier bin.“ Im Stillen hofft sie zu dieser Zeit aber wohl noch, dass Fritz es sich anders überlegt, denn 1949 schreibt sie rückblickend: „Ich habe leider kein Glück mit Männern. Der Fritz wollte mir ja nicht nachkommen und so ließ ich mich im Jahre 1938 scheiden.“ 

Auch ihre beiden anderen Beziehungen mit einem Deutschen und einem Iren scheitern. Den Iren Patrick Burns (1900-1974) lernt sie 1939 kennen und heiratet ihn wenige Monate später. „Mein Mann war katholisch und auch sonst so ganz anders wie ich.“ Er trinkt und er schlägt sie, so dass sie sich 1945 scheiden lässt. „Nun habe ich wieder ein friedliches Leben. Verdiene auch ganz gut. Die Kinder werden schon groß werden. Die Frauen haben hier ja gute Gelegenheit, sich Geld zu verdienen.“ Sie plant, mit einer Zimmervermietung Geld zu verdienen. Schneidern könne sie auch. Mit Blick auf ihre Geschwister stellt sie fest: „Amerika ist uns allen zur Heimat geworden. Man lebt sich ein und gewöhnt sich an die Sprache. Ich kann auch englisch lesen und schreiben.“

1951 fragt Emmi die Freundin: „Habt Ihr auch ein Radio, wo man gleich die Bilder sehen kann? Oder gibt es das in Deutschland noch nicht? Man nennt es ‚Television.‘“
Ihre Schwester Gertrud besucht 1950 Schwaben, aber nach Born kann sie wegen der „Zonensperre“ nicht fahren. Emmi erkundigt sich bei Käthe wiederholt nach Born und auch nach Fritz, über den sie weiß, dass er kürzlich Vater geworden ist.[4] Auch schlägt sie 1951 Käthe vor, nach Kanada auszuwandern. Käthes Mann, Ernst Gess, war dort jahrelang in Kriegsgefangenschaft. Sie hofft, so ihre Freundin Käthe in die Nähe zu holen. 

Emmi glaubt nicht, dass sie Deutschland jemals wiedersieht. Und so kommt es auch. Sie heiratet auch nicht wieder. Sohn Vince schenkt ihr zwei Enkelkinder, Sohn Dennis vier (darunter Enkelin Erin, die nach Born reist). Sie arbeitet als Reinigungskraft und als Schneiderin und wohnt bis zuletzt in der Nähe von Vince und seiner Familie.


Fußnoten

[1] Ihr Vater ist der Töpfermeister Joachim Stubbe (1823-1900). Der Öffentliche Anzeiger meldet im Juli 1854, dass „der Töpfermeister Stübbe zu Born beabsichtigt auf seinem Grundstücke daselbst einen Töpferofen anzulegen.“ Innerhalb von vier Wochen können Einwände vorgebracht werden.
[2] Noch 1964 ist Emmis Mutter Emma Barwinski, geb. Stubbe, als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
[3] www.myheritage.de; recherchiert am 18.10.2022
[4] Fritz hat mit seiner zweiten Frau Maria drei Töchter: Gisela, Christa und Silvia.